Es war einmal vor vielen Jahren - genau genommen 18 - da hatte einer die Idee, ich solle doch einen 16-Monats-Kalender anfertigen mit entsprechend 16 Illustrationen - zu jedem Bundesland eine.  Aber natürlich nicht irgendwelche gezeichneten Sehenswürdigkeiten, sondern es sollten ins Bild gesetzte Märchen, Sagen oder Legenden sein, die den entsprechenden Landstrich repräsentieren. Der Kalender wurde ein großartiger Reinfall und die Zeichnungen nebst  der zugehörigen Texte wanderten ins Archiv. Letzthin fiel mir das gesamte Konvolut bei Aufräumarbeiten wieder in die Hände und ich  sagte mir, was soll´s, vielleicht erweckt ja heutzutage das Ergebnis von gut einem halben Jahr  Arbeit mehr Interesse.

(Bayern)

Wie Regensburg zu seiner

steinernen Brücke kam

 

Der Dom und die Steinerne Brücke sind die zwei berühmtesten Wahrzeichen der Stadt Regensburg. Um diese beiden Bauwerke rankt sich die bekannteste Sage der Stadt: Der Baumeister der Steinernen Brücke war ein Lehrjunge des Dombaumeisters. Beide gingen eine Wette ein: Wer schafft es als erster, sein Bauwerk fertig zu stellen? Der Dombaumeister baute natürlich den Dom, sein Lehrling die Steinerne Brücke.

Doch der Lehrling ging einen Pakt mit dem Teufel ein. Er versprach dem Teufel die ersten drei Seelen, die nach Fertigstellung über die Brücke gehen würden. Der Teufel half dem Lehrling. Es kam, wie es kommen musste: Die Brücke wurde eher fertig. Daraufhin stürzte sich der Dombaumeister von der unfertigen Kathedrale herab. Noch heute sitzt das so genannte „Bruckmandl“ aus Stein in der Mitte der Brücke und blickt hinüber zum Dom.

 

Übrigens: der Teufel hat seine drei Seelen bekommen. Nur nicht die, die er wollte. Als nämlich die Brücke fertig war, sperrte sie der Lehrling ab und schickte einen Hund, einen Hahn und eine Henne drüber.


(Bremen)

Die Bremer Stadtmusikanten

(Gebrüder Grimm)

 

 

Es hatte ein Mann einen Esel, der schon lange Jahre die Säcke unverdrossen zur Mühle getragen hatte, dessen Kräfte aber nun zu Ende gingen, so dass er zur Arbeit immer untauglicher ward. Da dachte der Herr daran, ihn aus dem Futter zu schaffen, aber der Esel merkte, dass kein guter Wind wehte, lief fort und machte sich auf den Weg nach Bremen. Dort, meinte er, könnte er ja Stadtmusikant werden. Als er ein Weilchen fort gegangen war, fand er einen Jagdhund auf dem Wege liegen, der japste wie einer, der sich müde gelaufen hat. „Nun, was japst du so?", fragte der Esel. „Ach", sagte der Hund, weil ich alt bin und jeden Tag schwächer werde, auch auf der Jagd nicht mehr fort kann, hat mich mein Herr wollen totschlagen, da hab ich Reißaus genommen. Aber womit soll ich nun mein Brot verdienen?" „Weißt du was", sprach der Esel, ich gehe nach Bremen und werde dort Stadtmusikant, geh mit und lass dich auch bei der Musik annehmen. Ich spiele die Laute, und du schlägst die Pauken." Der Hund war zufrieden und sie gingen weiter. Es dauerte nicht lange, so saß da eine Katze an dem Weg und machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. „Nun, was ist dir in die Quere gekommen, alter Bartputzer?", sprach der Esel. „Wer kann da lustig sein, wenn's einem an den Kragen geht", antwortete die Katze, weil ich nun zu Jahren komme, meine Zähne stumpf werden und ich lieber hinter dem Ofen sitze als nach Mäusen herumjage, hat mich meine Frau ersäufen wollen. Ich habe mich zwar noch fortgemacht, aber nun ist guter Rat teuer. Wo soll ich hin?" „Geh mit uns nach Bremen, du verstehst dich doch auf die Nachtmusik, da kannst du ein Stadtmusikant werden!" Die Katze hielt das für gut und ging mit. Darauf kamen die drei Landesflüchtigen an einem Hof vorbei, da saß auf dem Tor der Haushahn und schrie aus Leibeskräften. „Du schreist einem durch Mark und Bein", sprach der Esel, „was hast du vor?" „Am Sonntag kommen Gäste und da soll ich in die Suppe kommen. Nun schrei ich aus vollem Hals, solang ich noch kann." „Ei was, du Rotkopf", sagte der Esel, zieh lieber mit uns fort, wir gehen nach Bremen.Du hast eine gute Stimme, lass uns dort zusammen musizieren." Der Hahn ließ sich den Vorschlag gefallen und sie gingen alle zusammen fort.
Sie konnten aber die Stadt Bremen in einem Tag nicht erreichen und kamen abends in einen Wald, wo sie übernachten wollten. Der Esel und der Hund legten sich unter einen großen Baum, die Katze und der Hahn machten sich in die Äste, der Hahn aber flog bis in die Spitze, wo er sich sicher fühlte. Ehe er einschlief, sah er sich noch einmal nach allen vier Winden um, da dachte er, er sähe in der Ferne ein Fünkchen brennen und rief seinen Gesellen zu, es müsste nicht gar weit ein Haus sein, denn es scheine ein Licht. Sprach der Esel: „So müssen wir uns aufmachen und noch hingehen, denn hier ist die Herberge schlecht.“ Also machten sie sich auf den Weg nach der Gegend, wo das Licht war und sahen es bald heller schimmern. Es wurde immer größer, bis sie vor ein hell erleuchtetes Räuberhaus kamen. Der Esel näherte sich dem Fenster und schaute hinein. „Was siehst du, Grauschimmel?", fragte der Hahn. „Was ich sehe?", antwortete der Esel. Einen gedeckten Tisch mit schönem Essen und Trinken und Räuber sitzen daran und lassen es sich wohl sein." „Das wäre was für uns", sprach der Hahn. Da ratschlagten die Tiere, wie sie es anfangen könnten, um die Räuber hinauszujagen, und fanden endlich ein Mittel. Der Esel musste sich mit den Vorderfüßen auf das Fenster stellen, der Hund auf den Rücken des Esels springen, die Katze auf den Hund klettern und endlich flog der Hahn hinauf und setzte sich der Katze auf den Kopf. Wie das geschehen war, fingen sie auf ein Zeichen an, ihre Musik zu machen. Der Esel schrie, der Hund bellte, die Katze miaute und der Hahn krähte. Dann stürzten sie durch das Fenster in die Stube hinein, dass die Scheiben klirrten. Die Räuber fuhren bei dem entsetzlichen Geschrei in die Höhe, meinten, ein Gespenst käme herein und flohen in größter Furcht in den Wald hinaus. Nun setzten sich die vier Gesellen an den Tisch, nahmen mit dem vorlieb, was übrig geblieben war und aßen, als wenn sie vier Wochen hungern sollten. Wie die vier Spielleute fertig waren, löschten sie das Licht aus und suchten sich eine Schlafstätte, jeder nach seiner Natur und Bequemlichkeit. Der Esel legte sich auf den Mist, der Hund hinter die Türe, die Katze auf den Herd bei die warme Asche und der Hahn setzte sich auf den Hahnenbalken. Und weil sie müde waren von ihrem langen Weg, schliefen sie auch bald ein. Als Mitternacht vorbei war und die Räuber sahen, dass kein Licht mehr im Haus brannte, auch alles ruhig schien, sprach der Hauptmann: „Wir hätten uns doch nicht sollen ins Bockshorn jagen lassen!" Er hieß einen hingehen und das Haus untersuchen. Der Abgeschickte fand alles still, ging in die Küche, ein Licht anzuzünden und weil er die glühenden, feurigen Augen der Katze für lebendige Kohlen ansah, hielt er ein Schwefelhölzchen daran, dass es Feuer fangen sollte. Aber die Katze verstand keinen Spaß, sprang ihm ins Gesicht, spie und kratzte. Da erschrak er gewaltig, lief und wollte zur Hintertüre hinaus, aber der Hund, der da lag, sprang auf und biss ihn ins Bein. Als der Räuber über den Hof an dem Mist vorbei rannte, gab ihm der Esel noch einen tüchtigen Schlag mit dem Hinterfuß. Der Hahn aber, der vom Lärmen aus dem Schlaf geweckt und munter geworden war, rief vom Balken herab: „Kikeriki!" Da lief der Räuber zu seinem Hauptmann zurück und sprach: „Ach, in dem Haus sitzt eine gräuliche Hexe, die hat mich angehaucht und mit ihren langen Fingern mir das Gesicht zerkratzt. Vor der Türe steht ein Mann mit einem Messer, der hat mich ins Bein gestochen! Auf dem Hof liegt ein schwarzes Ungeheuer, das hat mit einer Holzkeule auf mich losgeschlagen und oben auf dem Dache, da sitzt der Richter, der rief: bringt mir den Schelm her. Da machte ich, dass ich fort kam.“ Von nun an getrauten sich die Räuber nicht weiter in das Haus, den vier Bremer Musikanten gefiel es aber so gut darin, dass sie nicht wieder heraus wollten.


(Mecklenburg-Vorpommern)

Von dem Fischer und seiner Frau

 

Es war einmal ein Fischer und seine Frau, die wohnten zusammen in einem alten Pisspott dicht an der See, und der Fischer ging alle Tage hin und angelte, und er angelte und angelte. So saß er auch einmal mit seiner Angel und schaute immer in das klare Wasser hinein, und er saß und saß.
Da ging die Angel auf den Grund, tief, tief hinab, und wie er sie heraufholte, da zog er einen großen Butt heraus. Da sagte der Butt zu ihm: „Höre, Fischer, ich bitte dich, lass mich leben, ich bin kein richtiger Butt, ich bin ein verwünschter Prinz. Was hilft es dir, wenn du mich tötest? Ich würde dir doch nicht recht schmecken. Setz mich wieder ins Wasser und lass mich schwimmen!“
„Nun“, sagte der Mann, „du brauchst nicht so viele Worte zu machen, einen Butt, der sprechen kann, werde ich doch wohl schwimmen lassen.“ Damit setzte er ihn wieder in das klare Wasser hinein, und der Butt schwamm zum Grund hinab und ließ einen langen Streifen Blut hinter sich. Der Fischer aber stand auf und ging zu seiner Frau in den alten Pott. „Mann“, sagte die Frau, „hast du heute nichts gefangen?“„Nein“, sagte der Mann, „ich habe einen Butt gefangen, der sagte, er sei ein verwünschter Prinz, da habe ich ihn wieder schwimmen lassen.“ „Hast du dir denn nichts gewünscht?“ sagte die Frau. „Nein“, sagte der Mann, „was sollte ich mir denn wünschen?“„Ach“, sagte die Frau, „es ist doch übel, hier immer in dem alten Pott zu wohnen, der stinkt und ist so eklig; du hättest uns doch eine kleine Hütte wünschen können. Geh noch einmal hin und rufe den Butt und sage ihm, wir wollen eine kleine Hütte haben. Er tut das gewiss.“
Der Mann wollte nicht so recht; aber er wollte auch seiner Frau nicht zuwiderhandeln, und so ging er denn hin an die See. Als er da nun hinkam, war die See ganz grün und gelb und gar nicht mehr so klar. Da stellte er sich denn hin und rief:
Manntje, Manntje, Timpe Te, Buttje, Buttje in der See, myne Fru, de Ilsebill, will nich so, as ik wol will.“
Da kam der Butt angeschwommen und sagte: „Na, was will sie denn?“
„Ach“, sagte der Mann, „ich hatte dich doch gefangen, nun sagt meine Frau, ich hätte mir etwas wünschen sollen. Sie mag nicht mehr in dem alten Pott wohnen, sie wollte gerne eine Hütte.“ „Geh nur hin“, sagte der Butt, „sie hat sie schon.“
Da ging der Mann hin, und seine Frau saß nicht mehr in dem alten Pott, aber es stand nun eine kleine Hütte da, und seine Frau saß vor der Tür auf einer Bank. Da nahm sie ihn bei der Hand und sagte zu ihm: „Komm nur herein, siehst du, nun ist das doch viel besser.“
Da gingen sie hinein, und in der Hütte war ein kleiner Vorplatz und eine kleine hübsche Stube und eine Kammer, wo für jeden ein Bett stand, und Küche und Speisekammer und ein Geräteschuppen waren auch da, und alles war auf das schönste und beste eingerichtet.
„Siehst du“, sagte die Frau, „ist das nicht nett?“
„Ja“, sagte der Mann, „so soll es bleiben; nun wollen wir recht vergnügt leben.“
„Das wollen wir“ sagte die Frau.
So ging das wohl acht oder vierzehn Tage gut, dann sagte die Frau: „Hör, Mann, die Hütte ist auch gar zu eng, und der Hof und der Garten sind so klein. Der Butt hätte uns wohl auch ein größeres Haus schenken können. Ich möchte wohl in einem großen steinernen Schloss wohnen. Geh hin zum Butt, er soll uns ein Schloss schenken!“
Der Mann sagte bei sich selbst: Das ist nicht recht, ging aber doch hin. Als er an die See kam, war das Wasser ganz violett und dunkelblau und grau und dick und gar nicht mehr so grün und gelb, doch war es noch still. Da stellte er sich hin und rief:
„Manntje, Manntje, Timpe Te, Buttje, Buttje in der See, myne Fru, de Ilsebill, will nich so, as ik wol will.“
„Na, was will sie denn?“ sagte der Butt. „Ach“, sagte der Mann halb bekümmert, „sie will in einem großen Schlosse wohnen.“ „Geh nur hin, sie steht schon vor der Tür“, sagte der Butt.
Da ging der Mann fort als er ankam, stand da nun ein großer, steinerner Palast, und seine Frau stand eben auf der Treppe und wollte hineingehen. Da nahm sie ihn bei der Hand und ging mit ihm hinein, und in dem Schlosse war eine große Diele mit marmelsteinernem Boden, und da waren so viele Bediente, die rissen die großen Türen auf, und die Wände glänzten von schönen Tapeten, und in den Zimmern waren lauter goldene Stühle und Tische, und kristallene Kronleuchter hingen an der Decke, und in allen Stuben und Kammern lagen Teppiche.
„Na“, sagte die Frau, „ist das nun nicht schön?“ „Ach ja“, sagte der Mann, „so soll es auch bleiben, nun wollen wir in dem schönen Schlosse wohnen und wollen zufrieden sein.“ „Das wollen wir uns bedenken“, sagte die Frau, „und wollen es beschlafen.“ Und damit gingen sie zu Bett.

Am andern Morgen wachte die Frau zuerst auf, es wollte gerade Tag werden, und sie sah aus ihrem Bette das herrliche Land vor sich liegen. Der Mann reckte sich noch, da stieß sie ihn mit dem Ellenbogen in die Seite und sagte: „Mann, steh auf und guck mal aus dem Fenster! Sieh, könnten wir nicht König werden über all das Land? Geh hin zum Butt, wir wollen König sein!“
„Ach, Frau“, sagte der Mann, „was willst du König sein? Das mag ich ihm nicht sagen.“ „Warum nicht?“ sagte die Frau. „Geh stracks hin, ich muss König sein.“
Da ging der Mann hin und war ganz bekümmert, dass seine Frau König werden wollte. Das ist nicht recht und ist nicht recht, dachte der Mann. Er wollte gar nicht hingehen, ging aber doch hin. Und als er an die See kam, da war die See ganz schwarzgrau, und das Wasser gärte so von unten herauf und roch ganz faul. Da stellte er sich hin und rief:
„Manntje, Manntje, Timpe Te, Buttje, Buttje in der See, myne Fru, de Ilsebill, will nich so, as ik wol will.“
„Na, was will sie denn?“ sagte der Butt. „Ach“, sagte der Mann, „sie will König werden.“ „Geh nur hin, sie ist es schon“, sagte der Butt.
Da ging der Mann hin, und als er zum Palast kam, da war das Schloss viel größer geworden und hatte einen großen Turm und herrlichen Zierat daran, und die Schildwachen standen vor dem Tor, und da waren so viele Soldaten und Pauken und Trompeten…
Da stellte er sich hin und sagte: „Ach, Frau, bist du nun König?“„Ja“, sagte die Frau, „nun bin ich König.“ „Ach, Frau, was steht dir das schön, wenn du König bist! Nun wollen wir auch nichts mehr wünschen.“ „Nein, Mann“, sagte die Frau und war ganz unruhig: „mir wird schon die Zeit und Weile lang, ich kann das nicht mehr aushalten. Geh hin zum Butt, König bin ich, nun muss ich Kaiser auch werden.“
Als der Mann aber hinging, da war ihm ganz bang, und als er so ging, dachte er bei sich: Das geht und geht nicht gut. Kaiser ist zu unverschämt. Der Butt wird das am Ende doch müde. Und da kam er nun an die See, da war die See ganz schwarz und dick und fing schon an so von unten herauf zu gären, dass es Blasen gab, und da ging ein Windstoß darüber hin, dass es nur so schäumte, und dem Manne graute. Da stellte er sich hin und rief:
„Manntje, Manntje, Timpe Te, Buttje, Buttje in der See, myne Fru, de Ilsebill, will nich so, as ik wol will.“
„Na, was will sie denn?“ sagte der Butt. „Ach, Butt“, sagte er, „meine Frau will Kaiser werden.“ „Geh nur hin“, sagte der Butt, „sie ist es schon.“
Und so ging es weiter. War sie nun der Kaiser, war es ihr dennoch nicht genug. Kaum war ihr Mann angelangt, sollte er schon wieder ans Meer, denn nun wollte sie Papst sein. Und wie er sich auch sträubte, musste er doch an die brausende See und ihrem Befehl Folge leisten. Auch dieser Wunsch ging in Erfüllung. Aber zufrieden war das gierige Weib immer noch nicht, denn nun wollte sie sein wie der Liebe Gott.

 

„Mann“, sagte sie, „wenn ich nicht die Sonne und den Mond aufgehen lassen kann, habe ich keine ruhige Stunde mehr“, und sah sie ihn so recht grausig an, dass ihn ein Schauder überlief. „Sofort gehst du hin, ich will werden wie der liebe Gott.“
„Ach, Frau“, sagte der Mann und fiel vor ihr auf die Knie, „das kann der Butt nicht. Kaiser und Papst kann er machen, ich bitte dich, sei vernünftig und bleib Papst!“
Da kam sie in Wut, die Haare flogen ihr wild um den Kopf und sie trat nach ihm mit dem Fuß und schrie: „ich halte und halte das nicht länger aus. Willst du wohl gleich hingehen!“ Draußen aber ging der Sturm und brauste, dass er kaum noch auf seinen Füßen stehen konnte. Die Häuser und die Bäume wurden umgeweht, und die Berge bebten, die Felsbrocken rollten in die See, der Himmel war pechschwarz und das Meer rollte daher in hohen schwarzen Wogen. Da schrie er und konnte sein eigenes Wort nicht hören:
„Manntje, Manntje, Timpe Te, Buttje, Buttje in der See, meine Frau, die Ilsebill, will nicht so, wie ich wohl will.“
„Na, was will sie denn?“ fragte der Butt.
„Ach“, sagte er, „sie will wie der liebe Gott werden.“
„Geh nur hin, sie sitzt schon wieder in dem alten Pott.“
Und da sitzen sie noch bis heute und auf diesen Tag.


(Nordrhein-Westfalen)

August Kopisch  (1799 - 1853)

Die Heinzelmännchen

zu Köln

 

Wie war zu Köln es doch vordem

mit Heinzelmännchen so bequem!

denn, war man faul, - man legte sich

hin auf die Bank und pflegte sich

Da kamen bei Nacht, eh’ man gedacht,

die Männlein und schwärmten

und klappten und lärmten

und rupften und zupften

und hüpften und trabten

und putzten und schabten,

und eh` ein Faulpelz noch erwacht`,

war all sein Tagewerk bereits gemacht!

 

 

Die Zimmerleute streckten sich

hin auf die Spän` und reckten sich.

Indessen kam die Geisterschar

und sah, was da zu zimmern war.

Nahm Meißel und Beil

und die Säg` in Eil;

sie sägten und stachen

und hieben und brachen,

berappten und kappten,

visierten wie Falken

und setzten die Balken.

Eh` sich es der Zimmermann versah,

klapp, stand das ganze Haus schon fertig da.

 

Beim Bäckermeister war nicht Not,

die Heinzelmännchen backten Brot.

Die faulen Burschen legten sich,

die Heinzelmännchen regten sich;

und ächzten daher mit den Säcken schwer

und kneteten tüchtig

und wogen es richtig

und hoben und schoben

und fegten und backten

und klopften und hackten.

Die Burschen schnarchten noch im Chor:

da rückte schon das Brot, das neue, vor!

 

Beim Fleischer ging es just so zu:

Gesell und Bursche lagen in Ruh`.

Indessen kamen die Männlein her

und hackten das Schwein die kreuz und die quer`.

Das ging so geschwind wie die Mühle im Wind!

Die klappten mit Beilen,

die schnitzten an Seilen,

die spülten, die wühlten

und mengten und mischten

und stopften und wischten.

Tat der Gesell die Augen auf,

schwapp, hing die Wurst da im Ausverkauf!

 

Beim Schenken war es so: es trank

der Küfer, bis er niedersank.

am hohlen Fasse schlief er ein,

die Männlein sorgten um den Wein

und schwefelten fein alle Fässer ein

und rollten und hoben

mit Winden und Kloben

und schwenkten und senkten

und gossen und pantschten und

mengten und manschten.

Und eh` der Küfer noch erwacht`,

war schon der Wein geschönt und fein gemacht!

 

Einst hatte ein Schneider große Pein,

der Staatsrock sollte fertig sein;

warf hin das Zeug und legte sich

hin auf das Ohr und pflegte sich.

Da schlüpften sie frisch

an den Schneidertisch

und schnitten und rückten

und nähten und stickten

und fassten und passten

und strichen und guckten

und zupften und ruckten.

Und eh` mein Schneiderlein erwacht`:

war Bürgermeisters Rock bereits gemacht!

 

Neugierig war des Schneiders Weib

und macht` sich diesen Zeitvertreib:

streut Erbsen hin die andre Nacht.

Die Heinzelmännchen kommen sacht;

eins fährt nun aus,

schlägt hin im Haus,

die gleiten von Stufen

und plumpsen in Kufen,

die fallen mit Schallen,

die lärmen und schreien

und vermaledeien!

Sie springt hinunter auf den schall

mit Licht: husch, husch, husch - verschwinden all!

 

O weh, nun sind sie alle fort

und keines ist mehr hier am Ort!

Man kann nicht mehr wie sonst sich ruh’n,

man muss nun alles selber tun!

Ein jeder muss fein

selbst fleißig sein

und kratzen und schaben

und rennen und traben

und schniegeln und bügeln

und klopfen und hacken

und kochen und backen.

 

Ach, dass es doch wie damals wär’!

 

Doch kommt die schöne Zeit nicht wieder her!


(Rheinland-Pfalz)

Heinrich Heine (1797 – 1850)

 Die Loreley

 

 Ich weiß nicht was soll es bedeuten,
dass ich so traurig bin;
ein Märchen aus alten Zeiten,
das kommt mir nicht aus dem Sinn.

 

Die Luft ist kühl und es dunkelt,
und ruhig fließt der Rhein;
der Gipfel des Berges funkelt
im Abendsonnenschein.

 

 

 

 

Die schönste Jungfrau sitzet
dort oben wunderbar;
ihr goldnes Geschmeide blitzet,
sie kämmt ihr goldenes Haar.

 

Sie kämmt es mit goldenem Kamme
und singt ein Lied dabei;
das hat eine wundersame,
gewaltige Melodei.

 

Den Schiffer im kleinen Schiffe
ergreift es mit wildem Weh;
er schaut nicht die Felsenriffe,
er schaut nur hinauf in die Höh.

 

 

Ich glaube, die Wellen verschlingen
am Ende Schiffer und Kahn;
und das hat mit ihrem Singen
die Loreley getan.


(Saarland)

Ritter Maldix im Köllertal

 

 

Der Freiherr von Maldit (oder als Maltitz, Baldix, Maldix und Maldiß bekannt) war gräflicher Ober-Rüdenmeister, verantwortlich für die herrschaftlichen Treibjagden und besonders streng den bäuerlichen Treibern gegenüber. Dabei wurden sogar kleinste Nachlässigkeiten mit schweren Schlägen oder Gefängnis geahndet. Eines schönen Tages rief er die Bauern zur Treibjagd im Köllertal, als die Glocke zur Messe läutete. Die Bauern baten, zur Kirche gehen zu dürfen, doch der Maldit lachte sie nur aus. Als er mit einem Saufänger (Saufeder) auf einen Alten einschlug, der ihn an seine Christenpflichten erinnert hatte, erhob sich eine Windsbraut und eine gewaltige Wildsau brach aus dem Wald. Sie unterlief den Maldit und verschwand mit dem angeketteten Maldit auf dem Rücken im Wald. Seitdem spukt er als wilder Jäger durch die Lüfte. Er wurde zuletzt 1866 am alten Schloss in Püttlingen gesichtet

 

Ritter Maldix vom Litermont

 

 

Ritter Maldix, Sohn Margaretes vom Litermont, war ein wilder Jäger. Im Jahr 1429 wollte er am heiligen Karfreitag in den frühen Morgenstunden vor Sonnenaufgang eine Treibjagd im Nalbacher Herrenwald veranstalten. Er entdeckte einen großen schwarzen Hirsch und hetzte ihn durch den Wald auf den Litermont. An einer Schlucht konnte Ritter Maldix sein Pferd nicht mehr zügeln und stürzte in den Tod. Im Sturmwind hört man Maldix noch heute durch das Nalbacher Tal brausen


(Niedersachsen)

Der Rattenfänger

von Hameln

 

  Vor vielen, vielen Jahren, um genau zu sein, im Jahre 1284 ließ sich zu Hameln ein wunderlicher Mann sehen. Er hatte einen Rock von vielfarbigem, buntem Tuch an und gab sich für einen Rattenfänger aus, indem er versprach, gegen ein gewisses Geld die Stadt von allen Mäusen und Ratten zu befreien.

Die Bürger sagten ihm diesen Lohn zu, und der Rattenfänger zog sein Pfeifchen heraus und pfiff.

Da kamen alsbald die Ratten und Mäuse aus allen Häusern hervorgekrochen und sammelten sich um ihn herum. Als er nun meinte, es wäre keine zurückgeblieben, ging er aus der Stadt hinaus in die Weser; der ganze Haufen folgte ihm nach, stürzte ins Wasser und ertrank. 
Als aber die Bürger sich von ihrer Plage befreit sahen, reute sie der versprochene Lohn, und sie verweigerten ihn dem Mann, so dass dieser verbittert wegging.
Bald kehrte er jedoch wieder zurück, in Gestalt eines Jägers, mit erschrecklichem Angesicht, mit einem roten, wunderlichen Hut und ließ, während alle Welt in der Kirche versammelt war, seine Pfeife abermals in den Gassen ertönen.
Alsbald kamen diesmal nicht Ratten und Mäuse, sondern Kinder, Knaben und Mägdlein vom vierten Jahre an in großer Anzahl gelaufen. Diese führte er, immer spielend, zum Ostertore hinaus in einen Berg, wo er mit ihnen verschwand. Nur zwei Kinder kehrten zurück, weil sie sich verspätet hatten; von ihnen war aber das eine blind, so dass es den Ort nicht zeigen konnte, das andere stumm, so dass es nicht erzählen konnte. Ein Knäblein war umgekehrt, seinen Rock zu holen und so dem Unglück entgangen. Einige sagten, die Kinder seien in eine Höhle geführt worden und in Siebenbürgen wieder herausgekommen. Und so verschwanden an einem Tage 130 Kinder aus der Stadt und groß war die Trauer und das Wehklagen und der Zorn auf den eigenen Geiz.


(Sachsen)

Die Schildbürger bauen ein Rathaus

 

Es war einmal in alter Zeit, da beschlossen die Bürger von Schilda, sich ein Rathaus zu errichten. Und weil sie flugs an die Arbeit gingen waren sechs Wochen später bereits die Mauern aufgebaut. In der dem Marktplatz zugekehrten Breitseite war ein großes Tor ausgespart worden. Und es fehlte nur noch das Dach. Nun, auch das Dach kam bald zustande, und bald darauf fand die feierliche Einweihung des neuen Rathauses statt.

Sämtliche Einwohner erschienen in ihren Sonntagskleidern und begaben sich in das Gebäude. Doch sie waren noch nicht an der Treppe, da purzelten sie auch schon durcheinander, stolperten über fremde Füße, taten irgendwem auf die Hand, stießen mit den Köpfen zusammen und schimpften wie die Rohrspatzen. Die drin waren, wollten wieder heraus. Die draußen standen, wollten unbedingt hinein. Es gab ein fürchterliches Gedränge! Endlich landeten sie alle, wenn auch zerschunden und mit Beulen und blauen Flecken, wieder im Freien, blickten einander ratlos an und fragten aufgeregt: „Was war denn eigentlich los?" Da kratzte sich der Schuster hinter den Ohren und sagte: „In unserem Rathaus ist es finster !“ „Stimmt!" riefen die anderen. Als aber der Bäcker fragte: „Und woran liegt das?", wussten sie lange keine Antwort. Bis der Schneider schüchtern sagte: „Ich glaube, ich hab's." „Nun?" „In unserm neuen Rathaus", fuhr der Schneider bedächtig fort, „ist kein Licht!“ Da sperrten sie Mund und Nase auf und nickten zwanzigmal. Der Schneider hatte Recht, Im Rathaus war es finster, weil kein Licht drin war!

Am Abend trafen sie sich beim Ochsenwirt, tranken ein Bier und beratschlagten, wie man Licht ins Rathaus hineinschaffen könne. Es wurden eine ganze Reihe Vorschläge gemacht. Doch sie gefielen ihnen nicht besonders. Erst nach dem fünften Glas Braunbier fiel dem Hufschmied das Richtige ein. „Das Licht ist ein Element wie Wasser", sagte er nachdenklich. „Und da man Wasser in Eimern ins Haus trägt, sollten wir's mit dem Licht genauso machen!"

Am nächsten Tag hättet ihr auf dem Marktplatz sein müssen! Das heißt, ihr hättet gar keinen Platz gefunden. Überall standen Schildbürger mit Schaufeln, Spaten, Besen und Mistgabeln und schaufelten den Sonnenschein in Eimer und Kessel, Kannen, Töpfe, Fässer und Waschkörbe. Andre hielten große, leere Kartoffelsäcke ins Sonnenlicht, banden dann die Säcke geschwind mit Stricken zu und schleppten sie ins Rathaus. Dort banden sie die Säcke auf, schütteten das Licht ins Dunkel und rannten wieder auf den Markt hinaus, wo sie die leeren Säcke von neuem aufhielten und die Eimer und Fässer und Körbe wieder voll schaufelten. Ein besonders Schlauer hatte eine Mausefalle aufgestellt und fing das Licht in der Falle. So trieben sie es bis zum Sonnenuntergang. Dann wischten sie sich den Schweiß von der Stirn und traten gespannt durch das Rathaustor. Sie hielten den Atem an. Sie sperrten die Augen auf. Aber im Rathaus war es noch genauso dunkel wie am Tag zuvor. Doch die Schildbürger wussten sich zu helfen. Jeder steckte sich zur Ratssitzung einen brennenden Holzspan auf den Hut. Und wenn es auch nicht sehr hell war, so konnten sie einander doch wenigstens ungefähr erkennen. Leider begannen die Späne nach einer Viertelstunde zu flackern. Nach einer halben Stunde roch es nach angebrannten Hüten. Und schon saßen die Männer wieder im Dunkeln. Es war ganz still geworden. Sie schwiegen vor lauter Erbitterung. Plötzlich rief der Schuster aufgeregt: „Da! Ein Lichtstrahl!“ Tatsächlich! Die Mauer hatte einen Riss bekommen, und durch ihn hindurch tanzte ein Streifen Sonnenlicht! Wie gebannt starrten sie auf den goldenen Gruß von draußen. „O wir Esel!", brüllte da der Schweinehirt, „wir haben ja die Fenster vergessen!" Dabei sprang er auf, fiel im Dunkeln über die Beine des Schmieds und schlug sich an der Tischkante drei Zähne aus.

 

So war es. Sie hatten tatsächlich die Fenster vergessen! Sie stürzten nach Hause, holten Spitzhacken, Winkelmaß und Wasserwaage, und noch am Abend waren die ersten Fenster fix und fertig. So wurden die Schildbürger berühmt und es dauerte nicht lange, da kamen auch schon die ersten Reisenden nach Schilda, bestaunten die Einwohner, übernachteten und ließen überhaupt ein gutes Stück Geld in der Stadt, „Seht ihr", sagte der Ochsenwirt zu seinen Freunden, „als wir gescheit waren, mussten wir das Geld in der Fremde verdienen. Jetzt, da wir dumm geworden sind, bringt man's uns ins Haus!"


(Baden-Württemberg)

Die sieben Schwaben

(Gebrüder Grimm)

 

Einmal waren sieben Schwaben beisammen, der erste war der Herr Schulz, der zweite der Jackli, der dritte der Marli, der vierte der Jergli, der fünfte der Michal, der sechste der Hans, der siebente der Veitli; die hatten alle siebene sich vorgenommen, die Welt zu durchziehen, Abenteuer zu suchen und große Taten zu vollbringen. Damit sie aber auch mit bewaffneter Hand und sicher gingen, sahen sie's für gut an, dass sie sich zwar nur einen einzigen, aber recht starken und langen Spieß machen ließen. Diesen Spieß fassten sie alle siebene zusammen an, vorn ging der kühnste und männlichste, das musste der Herr Schulz sein, und dann folgten die andern nach der Reihe, und der Veitli war der letzte. Nun geschah es, als sie im Heumonat eines Tags einen weiten Weg gegangen waren, auch noch ein gut Stück bis in das Dorf hatten, wo sie über Nacht bleiben mussten, dass in der Dämmerung auf einer Wiese ein großer Rosskäfer oder eine Hornisse nicht weit von ihnen hinter einer Staude vorbei flog und feindlich brummelte. Der Herr Schulz erschrak, dass er fast den Spieß hätte fallen lassen und ihm der Angstschweiß am ganzen Leibe ausbrach.

„Horcht, horcht“, rief er seinen Gesellen, „Gott, ich höre eine Trommel!“ Der Jackli, der hinter ihm den Spieß hielt und dem ich weiß nicht was für ein Geruch in die Nase kam, sprach: „Etwas ist ohne Zweifel vorhanden, denn ich schmeck das Pulver und den Zündstrick.“ Bei diesen Worten hub der Herr Schulz an, die Flucht zu ergreifen, und sprang im Hui über einen Zaun, weil er aber gerade auf die Zinken eines Rechens sprang, der vom Heumachen da liegen geblieben war, so fuhr ihm der Stiel ins Gesicht und gab ihm einen ungewaschenen Schlag. „O wei, O wei“, schrie der Herr Schulz, „nimm mich gefangen, ich ergebe mich, ich ergebe mich!“ Die andern sechs hüpften auch alle einer über den andern herzu und schrien: „Gibst du dich, so gebe ich mich auch, gibst du dich, so gebe ich mich auch.“ Endlich, wie kein Feind da war, der sie binden und fortführen wollte, merkten sie, dass sie betrogen waren; und damit die Geschichte nicht unter die Leute käme und sie nicht genarrt und gespottet würden, verschworen sie sich untereinander, so lang davon stillzuschweigen, bis einer unverhofft das Maul auftäte. Hierauf zogen sie weiter. Die zweite Gefährlichkeit, die sie erlebten, kann aber mit der ersten nicht verglichen werden. Nach etlichen Tagen trug sie ihr Weg durch ein Brachfeld, da saß ein Hase in der Sonne und schlief, streckte die Ohren in die Höhe und hatte die großen gläsernen Augen starr aufstehen. Da erschraken sie bei dem Anblick des grausamen und wilden Tieres insgesamt und hielten Rat, was zu tun das wenigst Gefährliche wäre. Denn so sie fliehen wollten, war zu besorgen, das Ungeheuer setzte ihnen nach und verschlänge sie alle mit Haut und Haar. Also sprachen sie: „Wir müssen einen großen und gefährlichen Kampf bestehen, frisch gewagt ist halb gewonnen!“, fassten alle siebene den Spieß an, der Herr Schulz vorn und der Veitli hinten. Der Herr Schulz wollte den Spieß noch immer anhalten, der Veitli aber war hinten ganz mutig geworden, wollte losbrechen und rief:

 „Stoß zu in aller Schwabe Name,

sonst wünsch i, dass ihr möcht erlahme.“

 Aber der Hans wusste ihn zu treffen und sprach:
„Beim Element, du hascht gut schwätze,
bischt stets der letscht beim Drachehetze.“
Der Michal rief:
„Es wird nit fehle um ei Haar,
so ischt es wohl der Teufel gar.“
Drauf kam an den Jergli die Reihe, der sprach:
„Ischt er es nit, so ischt's sei Muter
oder des Teufels Stiefbruder.“
Der Marli hatte da einen guten Gedanken und sagte zum Veitli:
„Gang, Veitli, gang, gang du voran,
i will dahinte vor di stahn.“
Der Veitli aber hörte nicht drauf, und der Jackli sagte:
„Der Schulz, der muss der erschte sei,
denn ihm gebührt die Ehr allei.“
Da nahm sich der Herr Schulz ein Herz und sprach gravitätisch:
„So zieht denn herzhaft in den Streit,
hieran erkennt man tapfre Leut.“
Da gingen sie insgesamt auf den Drachen los. Der Herr Schulz segnete sich und rief Gott um Beistand an; wie aber das alles nicht helfen wollte und er dem Feind immer näher kam, schrie er in großer Angst: „Hau! Hurlehau! Hau! Hauhau!“ Davon erwachte der Has, erschrak und sprang eilig davon. Als ihn der Herr Schulz so feldflüchtig sah, da rief er voll Freude:

„Potz, Veitli, lueg, lueg, was ischt das?

Das Ungehüer ischt a Has.“


(Hamburg)

„Hummel“, der Hamburger Wasserträger

 

 

Wenn es ein weit über Hamburgs Grenzen hinaus bekanntes Symbol für die Hansestadt gibt, dann ist es neben dem Hamburger Michel,  Johann Wilhelm Bentz (1787 bis 1854): Er arbeitete als Wasserträger und galt als grimmiger Zeitgenosse – umso lieber neckten ihn die Kinder der Neustadt, indem sie ihm den Spottnamen "Hummel, Hummel!" zuriefen. Weil der Gepeinigte die Racker selten greifen konnte – immerhin trug er viele Liter Trinkwasser kilometerweit in die Stadt – blieb ihm nichts anderes übrig, als sie mit einem deftigem „Mors, Mors!“ zu bedenken, wobei es sich um die plattdeutsche Variante des Götz von Berlichingen-Zitats handelt, die mit „Hintern“ zu übersetzen ist. Er wohnte in der Hamburger Neustadt. Wie er sorgten viele Wasserträger – die meisten übrigens Frauen – dafür, dass die alsterfernen Stadtgebiete mit Wasser versorgt werden. Wenige Jahre nach der Errichtung der ersten Fernwasserversorgung (1845) wurde Bentz arbeitslos und starb 1854 im Armenhaus. Der Spitzname „Hummel” ist eine Verballhornung von „Hummer” und eine Aufforderung, sich die Kinder zu „greifen” wie ein Hummer mit seinen Zangen.

 

 


(Brandenburg)

Fritze Bollmann

 

Zu Brandenburg uff’m Beetzsee,
ja da liegt ein Äppelkahn
und darin sitzt Fritze Bollmann
mit seinem Angelkram.

Fritze Bollmann wollte angeln,
doch die Angel fiel ihm rin,
Fritze wollt se wieder langeln,
doch da fiel er selber rin.

Fritze Bollmann rief um Hilfe,
„liebe Leute rettet mir,
denn ick bin ja Fritze Bollmann,
aus der Altstadt der Barbier!“
Und die Angel ward gerettet,
Fritze Bollmann der ersoff
und seitdem jeht Fritze Bollmann
uff’n Beetzsee nich mehr ruff.

 

Fritze Bollmann kam in Himmel:
„lieber Petrus laß mir durch,

 

denn ick bin ja Fritze Bollmann,
der Barbier aus Brandenburg.“

Und der Petrus hat Erbarmen
und der Petrus ließ ihn rin.
„Ei Du kannst mir gleich balbieren,
komm mal her und seif mir in.“

Fritze Bollmann der balbierte,
Petrus schrie: „oh Schreck! Oh Graus!
Tust mir schrecklich massakrieren,
dette hält keen Deubel aus.

Uff der großen Himmelsleiter
Kannste wieder runterjeh'n
kratz mal drunten feste weiter,
ick lass mir ‚nen Vollbart steh'n“.


(Hessen)

Hänsel und Gretel  

(Gebrüder Grimm)

 

Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei Kindern; das Bübchen hieß Hänsel und das Mädchen Gretel. Er hatte wenig zu beißen und zu brechen, und einmal, als große Teuerung ins Land kam, konnte er das tägliche Brot nicht mehr schaffen. Wie er sich nun abends im Bette Gedanken machte und sich vor Sorgen herumwälzte, seufzte er und sprach zu seiner Frau: „Was soll aus uns werden ? Wie können wir unsere armen Kinder ernähren da wir für uns selbst nichts mehr haben ?" „Weißt du was, Mann“, antwortete die Frau, „wir wollen morgen in aller Frühe die Kinder hinaus in den Wald führen, wo er am dicksten ist. Da machen wir ihnen ein Feuer an und geben jedem noch ein Stückchen Brot, dann gehen wir an unsere Arbeit und lassen sie allein. Sie finden den Weg nicht wieder nach Haus, und wir sind sie los." „Nein, Frau", sagte der Mann, „das tue ich nicht“ Aber sie ließ ihm keine Ruhe, bis er einwilligte. Die zwei Kinder hatten vor Hunger auch nicht einschlafen können und hatten gehört, was die Stiefmutter zum Vater gesagt hatte. Gretel weinte bittere Tränen und sprach zu Hänsel: „Nun ist's um uns geschehen." „Still, Gretel", sprach Hänsel, „gräme dich nicht, ich will uns schon helfen." Und als die Alten eingeschlafen waren, stand er auf, zog sein Röcklein an, machte die Untertüre auf und schlich sich hinaus. Da schien der Mond ganz hell, und die weißen Kieselsteine, die vor dem Haus lagen, glänzten wie lauter Batzen. Hänsel bückte sich und steckte so viele in sein Rocktäschlein, als nur hinein wollten.
Als der Tag anbrach, noch ehe die Sonne aufgegangen war, kam schon die Frau und weckte die beiden Kinder: „Steht auf, ihr Faulenzer, wir wollen in den Wald gehen und Holz holen."

Als sie ein Weilchen gegangen waren, stand Hänsel still und guckte nach dem Haus zurück und tat das wieder und immer wieder. Der Vater sprach: „Hänsel, was guckst du da und bleibst zurück, hab acht und vergiß deine Beine nicht!" „Ach, Vater", sagte Hänsel, „ich sehe nach meinem weißen Kätzchen, das sitzt oben auf dem Dach und will mir Ade sagen." Die Frau sprach: „Narr, das ist dein Kätzchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein scheint." Hänsel aber hatte nicht nach dem Kätzchen gesehen, sondern immer einen von den blanken Kieselsteinen aus seiner Tasche auf den Weg geworfen.
Als sie mitten in den Wald gekommen waren, sprach der Vater: „Nun sammelt Holz, ihr Kinder, ich will ein Feuer anmachen, damit ihr nicht friert." Hänsel und Gretel trugen Reisig zusammen, einen kleinen Berg hoch. Das Reisig ward angezündet, und als die Flamme recht hoch brannte, sagte die Frau: "Nun legt euch ans Feuer, ihr Kinder, und ruht euch aus, wir gehen in den Wald und hauen Holz. Wenn wir fertig sind, kommen wir wieder und holen euch ab."
Hänsel und Gretel saßen um das Feuer, und als der Mittag kam, aß jedes sein Stücklein Brot. Und als sie so lange gesessen hatten, fielen ihnen die Augen vor Müdigkeit zu, und sie schliefen fest ein. Als sie endlich erwachten, war es schon finstere Nacht. Gretel fing an zu weinen und sprach: „Wie sollen wir nun aus dem Wald kommen ?" Hänsel aber tröstete sie: „Wart nur ein Weilchen, bis der Mond aufgegangen ist, dann wollen wir den Weg schon finden." Und als der volle Mond aufgestiegen war, so nahm Hänsel sein Schwesterchen an der Hand und ging den Kieselsteinen nach, die schimmerten wie neugeschlagene Batzen und zeigten ihnen den Weg. Sie gingen die ganze Nacht hindurch und kamen bei anbrechendem Tag wieder zu ihres Vaters Haus. Sie klopften an die Tür, und als die Frau aufmachte und sah, daß es Hänsel und Gretel waren, sprach sie: „Ihr bösen Kinder, was habt ihr so lange im Walde geschlafen, wir haben geglaubt, ihr wollet gar nicht wiederkommen." Der Vater aber freute sich, denn es war ihm zu Herzen gegangen, daß er sie so allein zurückgelassen hatte.
Nicht lange danach war wieder Not in allen Ecken, und die Kinder hörten, wie die Mutter den Vater überredete, noch einmal zu versuchen die Kinder loszuwerden. Als die Alten schliefen, stand Hänsel wieder auf, wollte hinaus und die Kieselsteine auflesen. Aber die Frau hatte die Tür verschlossen, und Hänsel konnte nicht heraus.

Am frühen Morgen kam die Frau und holte die Kinder aus dem Bette. Sie erhielten ihr Stückchen Brot. Auf dem Wege nach dem Wald zerbröckelte es Hänsel in der Tasche, und warf immer wieder ein Bröcklein auf die Erde.
Die Frau führte die Kinder noch tiefer in den Wald und es ward wieder ein großes Feuer angemacht. Als es Mittag war, teilte Gretel ihr Brot mit Hänsel, der sein Stück auf den Weg gestreut hatte. Dann schliefen sie ein und erwachten erst in der finstern Nacht. Als der Mond aufging, machten sie sich auf, aber sie fanden kein Brotkrümlein mehr, denn Vögel, die im Wald umherfliegen hatten sie weggepickt. Sie gingen die ganze Nacht und noch einen Tag von Morgen bis Abend, aber sie kamen aus dem Wald nicht heraus, sondern gerieten immer tiefer hinein. Als die Not am größten war, gelangten sie an ein

Häuschen, das aus Brot gebaut war und mit Kuchen gedeckt; aber die Fenster waren von hellem Zucker. „Da wollen wir uns dranmachen“, sprach Hänsel, „und eine gesegnete Mahlzeit halten.“ Hänsel brach sich ein wenig vom Dach ab und Gretel stellte sich an die Scheiben und knusperte daran. Da rief eine feine Stimme aus der Stube heraus: „Knusper, knusper, Knäuschen, Wer knuspert an meinem Häuschen ?" Die Kinder antworteten: „Der Wind, der Wind, Das himmlische Kind" und aßen weiter. Da ging auf einmal die Türe auf, und eine steinalte Frau, die sich auf eine Krücke stützte, kam heraus geschlichen. Hänsel und Gretel erschraken sich sehr, aber die Alte redete freundlich mit Ihnen und lud sie in  ihr Haus ein. Da ward ein gutes Essen aufgetragen und ein Bettchen für jedes Kind gemacht undHänsel und Gretel meinten, sie wären im Himmel.
Die Alte hatte sich aber nur freundlich angestellt und war in Wirklichkeit eine böse Hexe. Früh morgens packte sie Hänsel mit ihrer dürren Hand und trug ihn in einen kleinen Stall und sperrte ihn mit einer Gittertüre ein. Dann ging sie zur Gretel, rüttelte sie wach und rief: „Steh auf, Faulenzerin, trag Wasser und koch deinem Bruder etwas Gutes, der sitzt draußen im Stall und soll fett werden. Gretel fing an bitterlich zu weinen; aber es war alles vergeblich, sie mußte tun, was die böse Hexe verlangte.
Nun ward dem armen Hänsel das beste Essen gekocht und jeden Morgen ging die Alte zum Ställchen und rief: „Hänsel, streck deine Finger heraus, damit ich fühle, ob du bald fett bist." Hänsel streckte ihr aber ein Knöchlein heraus, und die Alte, die schlecht sah, wunderte sich, daß er gar nicht fett wurde. Nach vier Wochen wollte sie nicht länger warten. „Heda, Gretel", rief sie dem Mädchen zu „Hänsel mag fett oder mager sein, morgen will ich ihn schlachten und kochen.“  Am nächsten Tag mußte Gretel heraus, den Kessel mit Wasser aufhängen und Feuer anzünden.  Sie stieß das arme Gretel hinaus zu dem Backofen, aus dem die Feuerflammen schon herausschlugen. „Kriech hinein", sagte die Hexe, „und sieh zu, ob recht eingeheizt ist“. Aber Gretel sagte, „Ich weiß nicht, wie ich's machen soll, wie komm ich da hinein ?" „Dumme Gans", sagte die Alte, „die Öffnung ist groß genug, siehst du wohl, ich könnte selbst hinein", krabbelte heran und steckte den Kopf in den Backofen. Da gab ihr Gretel einen Stoß, dass sie weit hineinfuhr, machte die eiserne Tür zu und schob den Riegel vor. Hu ! Da fing sie an zu heulen, ganz grauselich; aber Gretel lief fort, und die gottlose Hexe mußte elendiglich verbrennen.
Gretel aber lief schnurstracks zum Hänsel, öffnete sein Ställchen und rief: „Hänsel, wir sind erlöst, die alte Hexe ist tot ". Und weil sie sich nicht mehr zu fürchten brauchten, so gingen sie in das Haus der Hexe hinein. Da standen in allen Ecken Kasten mit Perlen und Edelsteinen. Hänsel und steckte in seine Taschen, was hinein wollte. Und Gretel füllte sein Schürzchen voll. „Aber jetzt wollen wir fort", sagte Hänsel, „damit wir aus dem Hexenwald herauskommen." Als sie ein paar Stunden gegangen waren kam ihnen der Wald immer bekannter vor, und endlich erblickten sie von weitem ihres Vaters Haus. Da fingen sie an zu laufen, stürzten in die Stube hinein und fielen ihrem Vater um den Hals. Der Mann hatte keine frohe Stunde gehabt, seitdem er die Kinder im Walde gelassen hatte, die Frau aber war gestorben. Gretel schüttelte sein Schürzchen aus, daß die Perlen und Edelsteine in der Stube herum sprangen, und Hänsel warf eine Handvoll nach der andern aus seiner Tasche dazu. Da hatten alle Sorgen ein Ende, und sie lebten in lauter Freude zusammen.


 

(Thüringen)

Die Alte-Weiber-Mühle

(Richard von Volkmann-Leander *)

 

Bei Apolda in Thüringen liegt die Alte-Weiber-Mühle. Auf der einen Seite werden die alten Weiber hineingetan; faltig und bucklig, ohne Haare und Zähne, und auf der anderen kommen sie jung wieder heraus: schmuck und rotbackig wie die Borstäpfel. Mit einem Male Umdrehen ist‘s gemacht; knack und krach geht es, dass es einem durch Mark und Bein fährt. Wenn man aber die, welche herauskommen und wieder jung geworden sind, fragt, ob es nicht erschrecklich weh tue, antworten sie: „Lieber gar! Wunderschön ist es! Ungefähr so, wie wenn man früh aufwacht, gut ausgeschlafen ist und die Sonne ins Zimmer scheint, und draußen singen die Vögel, und die Bäume rauschen, und man sich dann noch einmal im Bett ordentlich dehnt und reckt. Da knackt‘s auch zuweilen." Sehr weit von Apolda wohnte einmal eine alte Frau; die hatte auch davon gehört. Da sie nun sehr gern jung gewesen war, entschloss sie sich eines Tages kurz und machte sich auf den Weg. Es ging zwar langsam; sie musste oft stehen bleiben und husten, aber mit der Zeit kam sie doch vorwärts, und endlich langte sie richtig vor der Mühle an. „Ich möchte wieder jung werden und mich ummahlen lassen", sagte sie zu einem der Knechte, der, die Hände in den Hosentaschen, vor der Mühle auf der Bank saß und aus seiner Pfeife Ringel in die blaue Luft blies. „Du lieber Gott, was das Apolda weit ist!“ „Wie heißt Ihr denn?" fragte der Knecht gähnend. „Die alte Mutter Klapprothen!" „Setzt Euch solange auf die Bank, Mutter Klapprothen", sagte der Knecht, ging in die Mühle, schlug ein großes Buch auf und kam mit einem langen Zettel wieder heraus. „Ist wohl die Rechnung, mein Jüngelchen?" fragte die Alte. „I bewahre!" erwiderte der Knecht. „Das Ummahlen kostet nichts. Aber Ihr müsst zuvor das hier unterschreiben!" „Unterschreiben?" wiederholte die alte Frau. „Wohl meine arme Seele dem Teufel verschreiben? Nein! das tue ich nicht! Ich bin eine fromme Frau und hoffe, einmal in den Himmel zu kommen." „Ist nicht so schlimm!" lachte der Knecht. „Auf dem Zettel stehen bloß alle Torheiten verzeichnet, die Ihr in Eurem ganzen Leben begangen habt, und zwar ganz genau der Reihe nach, mit Zeit und Stunde. Ehe Ihr Euch ummahlen lasst, müsst Ihr Euch verpflichten, wenn Ihr nun wieder jung geworden seid, alle die Torheiten noch einmal zu machen, und zwar ganz genau in derselben Reihenfolge, justement wie‘s auf dem Zettel steht!" Darauf besah er den Zettel und sagte schmunzelnd: „Freilich ein bißchen viel, Mutter Klapprothen, ein bißchen viel! Vom sechzehnten bis zum sechsundzwanzigsten Lebensjahre täglich eine, sonntags zwei. Nachher wird‘s besser. Aber im Anfang der Vierziger, der Tausend, da kommt's‘noch einmal dicke! Zuletzt ist's wie gewöhnlich!" Da seufzte die Alte und sagte: „Aber Kinder, dann lohnt es sich ja gar nicht, sich ummahlen zu lassen!" „Freilich, freilich", entgegnete der Knecht, „für die meisten lohnt sich‘s nicht! Darum haben wie eben gute Zeit; sieben Feiertage die Woche, und die Mühle steht immer still, zumal seit den letzten Jahren. Früher war schon das Geschäft etwas lebhafter." „Ist es denn nicht möglich, wenigstens etwas auf dem Zettel auszustreichen?" fragte die Alte noch einmal und streichelte dem Knechte die Backen. „Bloß drei Sachen, mein Jüngelchen, alles andere will ich, wenn es denn einmal sein muß, noch einmal machen." „Nein", antwortete der Knecht, „das ist platterdings unmöglich. Entweder - oder!" „Nehmt nur Euren Zettel wieder", sagte darauf die alte Frau nach einigem Besinnen, „ich habe die Lust an Euerer dummen alten Mühle verloren!" und machte sich auf den Heimweg. Als sie aber zu Hause ankam und die Leute sie verwundert ansahen und sagten: „Aber Mutter Klapprothen, Ihr kommt ja gerade so alt wieder, als Ihr fortgegangen seid! Es ist wohl nichts mit der Mühle?" hustete sie und antwortete: „O ja, es ist wohl etwas daran; aber ich hatte zu große Angst, und dann – was hat man denn an dem bisschen Leben? Du lieber Gott!"

 

*Richard von Volkmann-Leander

 

Geboren am 17.8.1830 in Leipzig, gestorben am 28.11.1889 in Jena. Volkmann war Sohn eines Professors der Medizin. Er verlebte seine Jugend in Dorpat, studierte Medizin in Halle, Gießen und Berlin und wurde 1857 Privatdozent in Halle. 1863 erhielt er den Professorentitel. 1885 wurde er von Kaiser Wilhelm I geadelt und von Papst Pius IX nach Rom berufen. Volkmann ist Begründer der modernen wissenschaftlichen Orthopädie.

(Schleswig-Holstein)

Matten Has’

 

 

Lütt Matten, de Has',
de mak sik en Spaß,
he weer bi't Studeern,
dat Danzen to lehrn,
un danz ganz alleen
op de achtersten Been.

Keem Reinke, de Voß
un dach: „Das en Kost!“
un seggt: „Lüttje Matten,
so flink oppe Padden?
Un danzst hier alleen
oppe achtersten Been?

 

Kumm, lat uns tosam!
Ik kann as de Dam.
De Krei, de spelt Fitel,
denn geit dat canditel
denn geit dat mal schön
op de achtersten Been!“

Lütt Matten gev Pot.
De Voß beet em dot
un sett sik in Schatten,
verspis' de lütt Matten.
De Krei, de kreeg een
vun de achtersten Been.

 

Nacherzählung

 

Klein Matthes der Hase, macht sich einen Spaß. Er tut so als ob er studiert, das Tanzen zu erlernen. Und alsbald tanzt er ganz alleine auf den hinteren Beinen.
Da kommt Reineke der Fuchs und denkt sich, was für eine Köstlichkeit und sagt: He Klein Matthes, so flink auf den Füßen, tanzt du hier alleine auf den hinteren Beinen? Komm lass uns zusammen (tanzen). Ich kann (tanzen) wie eine Dame, die Krähe spielt die Fiedel, dann macht es richtig Spaß, dann tanzt sich’s erst wirklich schön auf den hinteren Beinen.
Klein Matthes reicht die Pfote und der Fuchs beißt ihn tot, setzt sich in den Schatten und verspeist Klein Matthes. Und die Krähe kriegt eines von den hinteren Beinen.

 

 


(Sachsen)

Martin Pumphutt

 

Es war einmal ein armer Bursche dem seine Eltern den Namen Martin gegeben hatten. In einem kleinen Häuschen, in einem noch kleineren Dorf hatte er seine Kindheit verbracht und die Menschen dort waren so arm, dass sich zu seiner Taufe noch nicht einmal ein Gevatter fand, der ihm einen Kreuzer in die Wiege legen konnte. Dennoch hatte er eine fröhliche Kindheit und wuchs heran, wie es denn Kinder tun.

Je älter er aber wurde und je aufmerksamer er die Dinge betrachtete, die um ihn herum geschahen, merkte er, dass es mit ihm wohl etwas Besonderes auf sich haben müsse. Kam er den Dorfanger herunter, steckten die alten Weiber die Köpfe zusammen und tuschelten miteinander. Und auch seine Mutter warf ihm, fühlte sie sich unbeobachtet, mitunter merkwürdige, ja fast lauernde Blicke zu. Und so kam die Zeit, dass er mit Bitten, Drängen und Fragen erfuhr, was sich in den Tagen seiner Kindheit mit ihm zugetragen hatte. Man habe um seine Wiege sonderbare Schattengestalten herumtollen sehen, erzählten die einen. Eine Schlange habe ihm über die Augen geleckt, berichteten andere und mutmaßten,  dass er nun gewiss ein Hellseher sei und in der Dunkelheit seien vor ihm immer kleine Flämmchen dahergehüpft, was auch immer das zu bedeuten habe.

In der Untermühle seines Dörfchens erlernte er, als die Zeit reif war, das Müllerhandwerk.

Von dem alten Müller hieß es, dass er der Zauberei mächtig sei und der war es auch, der die geheimnisvollen Kräfte, die in Martin schlummerten , zum Leben erweckte. Als sein Meister ihm nichts mehr beibringen konnte, ging der Knabe auf Wanderschaft. Er machte sich einen sehr hohen und breitkrempigen Hut und zog in die Ferne. Und weil sein Vater Pumpenbauer war und selbst eine ähnliche Kopfbedeckung getragen hatte,  nannte man ihn bald nur noch den Martin Pumphutt. Es dauerte gar nicht lange, da war er bereits ein berühmter Mann. Erwies er sich einerseits als geschickter Handwerker, so ging ihm andererseits der Ruf voraus ein ebensolcher Possenreißer und Spaßvogel zu sein, der auch mit kleinen Zaubereien aufwarten konnte und wenn es denn Not tat, auch zu größeren fähig war.

Als er auf seiner Wanderschaft wieder einmal eine Stelle als Bursche in einer Mühle angetreten hatte, war er an einen ganz besonders geizigen Müller geraten, der im ganzen Land als Menschenschinder verschrien war. Der war dick und feist, seine Gesellen aber dünn und elend. Schon beim ersten Hahnenschrei prügelte er die Jungen aus dem Stroh und ließ sie schwere Arbeit bei Wasser und Brot tun, während er in der guten Stube saß und schon zum Morgenmahl Gebratenes und Gesottenes verzehrte. Pumphutt sah sich das zwei Wochen lang mit an, arbeitete und litt mit den Menschen und dem Vieh. Als aber die zweite Woche herum war, beschloss er dem Müller eine Lehre zu erteilen. Wie sie so im Hofe saßen und ihre Suppe löffelten, in die mehr Augen hineinsahen, denn heraus, nahm er seinen Wanderstab und schlug voller Zorn auf den Tisch. Und eh man sich’s versah stand alles still. Zwar plätscherte noch das Wasser über das Mühlrad, aber es bewegte sich nicht mehr. Auch alle anderen Räder und Werke standen still, so dass der Müller bald nicht mehr wusste, wie spät es denn sei. Und wie er auch bat und bettelte, der Pumphutt ließ sich nicht erweichen. Als dann aber die Not immer größer wurde und schon die zornigen Bauern vor dem Tore lamentierten, weil ihr Korn nicht zu Mehl gemahlen wurde, hatte er schließlich ein Einsehen und zog aus der Rocktasche ein großes Stück Pergament. Das legte er dem Müller vor und hieß ihn aufschreiben, was er künftig den Gesellen, den Mägden und den Tieren täglich Gutes tun solle, auf  dass seine Mühle wieder zum Laufen käme. Der Müller wand und sträubte sich, aber es half ihm nichts schließlich musste er doch seinen Namen darunter setzen und als der letzte Tintenklecks getrocknet war begann das Wasserrad sich wieder zu drehen, als wäre es niemals still gestanden.  Das Schriftstück aber nahm der Pumphutt mit sich und er warnte den Müller, sich an alle Versprechungen zu halten. Täte er es nicht, dann verschwände dessen Unterschrift von dem Bogen und dann erginge es ihm viel schlimmer als je zuvor. Und richtig. Von Stund an hörte man über den einst so bösen Müller nur noch gute Dinge sagen. Der Pumphutt aber zog weiter,  vollbrachte viele Streiche und Späße und kehrte Menschen mit seiner Zauberei zum Guten. Das alles aber ist auf einem anderen Blatt und in einem anderen Buch aufgeschrieben.

 

Die Legenden vom Pumphutt entstanden zum großen Teil im 17. Jahrhundert und beziehen sich auf  eine legendäre historische Person, die aus dem sorbischen Dörfchen Spohla stammen soll. Von diesem Lausitzer Eulenspiegel erzählte man sich in Bautzen, im heute tschechischen Schluckenau und Rumburg ebenhso, wie viel weiter entfernt gelegenen Wethautal bei Naumburg an der Saale.


(Sachsen-Anhalt)

Karl-Friedrich Seyferth (1832)

 Das Hussiten-

Kirschfest-Lied

 

Die Hussiten zogen vor Naumburg*
über Jena her und Camburg
auf der ganzen Vogelwies´
sah man nichts als Schwert und Spieß,
an die hunderttausend.

 

Als sie nun vor Naumburg lagen,
kam darein ein großes Klagen!
Hunger Quälte, Durst tat weh,
und ein einzig Lot Kaffee
kam auf sechszehn Pfenn´ge.

 

Als die Not nun stieg zum Gipfel,
fasst die Hoffnung man beim Zipfel,
und ein Lehrer von der Schul´
sann auf Rettung und verful
endlich auf die Kinder.

 

„Kinder“, sprach er, „ihr seid Kinder,
unschuldsvoll und keine Sünder
ich führ euch zum Prokop hin,
der wird nicht so grausam sin,
euch zu massakrieren.“

 

Dem Prokopen tät es scheinen,
Kirschen schenkte er den Kleinen
zog darauf sein langes Schwert,
kommandierte: „Rechtsum, kehrt!“
hinterwärts von Naumburg.

 

Und zu Ehren des Mirakels
ist alljährlich ein Spektakel.
Kennt ihr nicht das Kirschenfest,
wo man´s Geld in Zelten lässt?
Freiheit und Viktoria.

 

 

 

*Nirgends in den Chroniken und mittelalterlichen Geschichtswerken wird von einer Belagerung Naumburgs in den Hussitenkriegen etwas erwähnt. Inzwischen ist es Gewissheit, dass die Hussiten niemals vor Naumburg gestanden haben. Was also ist am Kirschfest wahr? Als ältestes Zeugnis gilt eine Ratsrechnung von 1526, die Ausgaben für Kirschen für ein Schulfest aufzeichnet. Die Kirschfest-Tradition ist wahrscheinlich noch älter, doch wurde sie erst später mit der Hussiten-Sage zusammengeführt. Erstmals ca. 1685 wird die Geschichte von der Errettung Naumburgs durch die Kinder erzählt – also rund 250 Jahre nach dem sagenhaften Ereignis. Von da an wird das Kirschfest stets unter dem Hussiten-Motto gefeiert. Volkstümlich wurde sie erst mit dem Wirken des Garnison-Kinderlehrers Georg Rauh, insbesondere durch seine Flugschrift „Die Schwachheit über die Stärke oder gründliche Nachricht von dem 1432 vor Naumburg sich gelagerten Heere der Hussiten unter ihrem Heerführer Procopio und dem daher entstandenen Schul- oder Kirschfeste, 1782“. Rauh datierte die Belagerung vermutlich deshalb auf 1432, um für seine Schrift ein besonderes Jubiläum reklamieren zu können: 350 Jahre nach der Belagerung. Bereits damals war bekannt, dass die Hussiten allenfalls 1430 oder 1431 in der Nähe Naumburgs vorbeigezogen sein konnten. Am bekanntesten natürlich wurde das – damals durchaus ironisch gemeinte – Kirschfestlied von Karl-Friedrich Seyferth, durch das heute jedes Naumburger Kind die Kirschfestsage kennt.


(Berlin)

Der Hauptmann von Köpenick

 

Im Jahre 1906 ereignete sich in Berlin eine der bekanntesten Hochstapeleien der deutschen Kriminalgeschichte. In der Woche zuvor hatte sich der Schuster WilhelmVoigt bei verschiedenen Trödlern in Potsdam und Berlin die Uniform eines preußischen „Hauptmanns des 1. Garde-Regiments zu Fuß“ zusammengekauft.

Am frühen Morgen des 16. Oktobers eilte Wilhelm Voigt von seinem Unterschlupf am Schlesischen Bahnhof zum Bahnhof Beusselstraße. Hier holte er seine Uniform aus der Gepäckaufbewahrung und begab sich zur Jungferheide um sich umzuziehen. Anschließend fuhr er nach Stralau-Rummelsburg und von dort mit dem Vorortzug nach Köpenick. Hier sondierte er das Terrain und prägte sich besonders die Gegend um das Rathaus ein. Gegen Mittag, zur Zeit der Wachablösungen, hielt er in der Sylter Straße einen Trupp Garde-Füsiliere an, der aus vier Soldaten und einem Unteroffizier bestehend, auf dem Rückweg in die Kaserne war. Wie es sich für einen guten Unteroffizier gehört, ließ dieser angesichts des Hauptmanns die Truppe strammstehen und erstattete Meldung. Unter Berufung auf allerhöchste Kabinettsorder unterstellte hierauf Voigt die Truppe seinem Befehl, entließ den Unteroffizier, damit er seine Vorgesetzten unterrichte und kaperte kurz darauf die ebenfalls vorbeikommende, abgelöste Wache eines Schießstandes, welche aus 6 Mann vom 4. Garde-Regiment zu Fuß bestand.

Mit dieser  Streitmacht marschierte er zum Bahnhof Putlitzstraße, um mit der Bahn nach Köpenick zu fahreb. Am Rathaus angekommen ließ er vor den Portalen und Nebeneingängen Posten aufstellen und die Tore schließen. Die örtliche Gendarmerie wies er an, während der folgenden Aktion für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Ohne Umschweife und in aller Selbstver-ständlichkeit ging es dann hinauf ins Vorzimmer des Bürgermeisters. Zunächst ließ er den Oberstadtsekretär Rosenkranz arretieren und danach den Bürgermeister Dr. Georg Langerhans verhaften. Dem Kassenrendanten von Wiltberg befahl Voigt einen Kassensturz zu machen, um anschließend den Abschlussbetrag von immerhin 4000 Mark und 70 Pfennigen zu beschlagnahmen. Dr. Langerhans und Herrn von Wiltberg ließ er zur Neuen Wache nach Berlin abtransportieren.

Zehn Tage später wurde er verhaftet und durch das Landgericht zu vier Jahren Haft verurteilt. Da Kaiser Wilhelm II. ihn begnadigte, wurde er am 16. August 1908 vorzeitig aus der Haftanstalt Tegel entlassen.

Die „Köpenickiade“ hat Wilhelm Voigt* zu einem der bekanntesten Berliner Originale werden lassen. Heinrich Zille**, in Berlin eher als „Pinselheinrich“ bekannt, war zwar nicht mit von der Partie, doch hätte er Wind von der Sache bekommen, wäre er bestimmt mit Skizzenblock und Stift zur Stelle gewesen. Und auch Gustav Hartmann***, genannt der „Eiserne Gustav“, stand nicht mit seiner Droschke bereit, um die Delinquenten zur „Neuen Wache“ zu bringen. Doch wenn schon zwei Berliner Berühmtheiten, die einander nicht kannten auf einem Bild zu sehen sind, ist gewiss auch noch Platz für eine dritte.

 

*Wilhelm Voigt wurde 1849 als Sohn eines Schuhmachers in Tilsit geboren. Schon mit 14 Jahren wurde er wegen Diebstahls zu 14 Tagen Haft verurteilt. Zwischen 1864 und 1891 wurde er viermal wegen erneuten Diebstahls und zweimal wegen Urkundenfälschung verhaftet und verurteilt. Nach seiner Entlassung 1906 zog er nach Wismar., und arbeitete dort bis er ein Aufenthaltsverbot für das Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin erhielt. Danach zog er zu seiner Schwester nach Berlin. Nach seiner Haftentlassung ging er 1909 nach Luxemburg, der Hauptstadt des Großherzogtums Luxemburg. Am 1. Mai 1910 erhielt er einen luxemburgischen Ausweis und arbeitete überwiegend als Kellner und Schuhmacher. Gelegentlich trat er auch im Zirkus als Hauptmann von Köpenick auf und verkaufte dabei Autogrammkarten. Er unternahm „Tourneen“ u. a. nach Kanada, in die USA und nach Frankreich. Ihm zu Ehren wurde später auch eine Figur bei Madame Tussaud aufgestellt wurde. Am 3. Januar 1922 verstarb er im Alter von 72 Jahren völlig verarmt in Luxemburg und wurde auf dem dortigen Liebfrauenfriedhof begraben.

 

**Heinrich Zille (* 10. Januar 1858 in Radeburg bei Dresden; † 9. August 1929 in Berlin)

 In seiner Kunst bevorzugte Zille Themen aus dem Berliner „Milljöh“, das er liebevoll und sozialkritisch darstellte – seine Figuren und Szenen stammten vornehmlich aus der sozialen Unterschicht beziehungsweise aus Randgruppen und aus den Berliner Mietskasernen. Um die Jahrhundertwende gelang es Zille, erste Zeichnungen auszustellen und in Zeitschriften wie Simplicissimus, Jugend. Münchener Illustrierte Wochenschrift für Kunst & Leben und Die Lustigen Blätter zu veröffentlichen.

 

***Gustav Hartmann (* 1859; † 23. Dezember 1938)

 Aus Protest gegen den Niedergang seines Gewerbes und die steigende Zahl von Autos startete der Droschkenkutscher Gustav Hartmann aus Berlin-Wannsee im April 1928 mit seinem Pferdegespann zu einer Reise nach Paris, wo er am 4. Juni ankam. Durch seine Reise berühmt geworden, gründete der „Eiserne Gustav“, wie er auch genannt wurde, nach seiner Rückkehr eine Stiftung für in Not geratene Taxifahrer.